Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben Sonderkündigungsschutz. Liegt dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung kein Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes vor, ist die Kündigung unwirksam. Zusätzlich gelten die Anforderungen des allgemeinen Kündigungsschutzes. Ist eine Kündigung unzulässig, kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht dagegen vorgehen. Er hat Anspruch auf Wiedereinstellung oder Abfindung.
Besteht ein Arbeitsverhältnis seit mehr als 6 Monaten, gilt für Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung besonderer Kündigungsschutz. Die Kündigung eines Schwerbehinderten ist dadurch an besonders hohe Anforderungen geknüpft – allerdings nicht unmöglich.
In jedem Fall muss der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamtes (§ 168 SGB IX) einholen. Ohne Zustimmungsbescheid ist die Kündigung eines Schwerbehinderten unwirksam.
Gibt es im Unternehmen Arbeitnehmervertretungen wie z. B. eine Schwerbehindertenvertretung oder einen Personal- bzw. Betriebsrat, sind diese ebenfalls anzuhören.
Um die Zustimmung für die Kündigung eines schwerbehinderten Angestellten einzuholen, stellt der Arbeitgeber einen schriftlichen Antrag beim Integrationsamt. Die Behörde wägt anschließend die Interessen von Arbeitgeber (Kündigung) und Arbeitnehmer (Weiterbeschäftigung) gegeneinander ab.
Dabei prüft das Integrationsamt ausschließlich, ob die Kündigung in direktem Zusammenhang mit der Behinderung des Mitarbeiters steht. Dies wäre unzulässig.
Geprüft wird außerdem, ob
Über eine ordentliche Kündigung entscheidet das Integrationsamt innerhalb eines Monats. Einwände gegen fristlose Kündigungen muss die Behörde binnen 2 Wochen anbringen.
Steht die Behinderung nicht in Zusammenhang mit der Kündigung, erlässt das Integrationsamt einen Zustimmungsbescheid. Damit kann der Arbeitgeber den Schwerbehinderten innerhalb einer 4-wöchigen Frist kündigen.
Hat das Integrationsamt seine Zustimmung zur Kündigung zu Unrecht erteilt, können Betroffene per Widerspruch eine Nachprüfung einfordern.
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In den folgenden Fällen ist die Zustimmung des Integrationsamtes für die wirksame Kündigung eines Schwerbehinderten nicht notwendig:
Gibt es im Unternehmen Arbeitnehmervertretungen, müssen diese zusätzlich über die Umstände der Kündigung in Kenntnis gesetzt werden.
Die Stellungnahmen von Schwerbehindertenvertretung, Betriebs- oder Personalrat können elementar für die Entscheidung des Integrationsamtes sein. Denn häufig enthalten sie Hinweise auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten.
Die Arbeitnehmervertretung muss mögliche Einwände innerhalb einer Woche vorbringen – bei außerordentlichen Kündigungen binnen 3 Tagen. Ergeht in diesem Zeitraum kein Einspruch, gilt die Zustimmung zur Kündigung als erteilt.
Sind die Anforderungen des Sonderkündigungsschutzes bei Schwerbehinderung erfüllt, gelten darüber hinaus die grundsätzlichen Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) an eine rechtswirksame Arbeitgeberkündigung.
Der Arbeitgeber muss
Besteht das Arbeitsverhältnis seit mehr als 6 Monaten in einem Betrieb mit mindestens 10 Vollzeitbeschäftigten, greift der Kündigungsschutz.
Der Arbeitgeber muss im Kündigungsschreiben einen von 3 zulässigen Kündigungsgründen angeben:
1. Verhaltensbedingte Kündigung
Unentschuldigtes Fehlen, Mobbing und Alkoholkonsum am Arbeitsplatz rechtfertigen eine verhaltensbedingte Kündigung. Zuvor muss der schwerbehinderte Arbeitnehmer eine Abmahnung erhalten.
Erst wenn sich sein Verhalten anschließend nicht zum Positiven ändert, ist eine Kündigung trotz Schwerbehinderung möglich.
Durch massives Fehlverhalten – z. B. einen tätlichen Angriff auf Kollegen, Diebstahl, Betrug, Nötigung oder Beleidigung – verlieren Schwerbehinderte den Sonderkündigungsschutz. In diesen Fällen darf der Arbeitgeber Schwerbehinderten ohne vorherige Abmahnung und ohne Zustimmung des Integrationsamtes fristlos kündigen.
2. Betriebsbedingte Kündigung
Bei Umstrukturierungen, Stellenabbau oder Auslagerung der Produktion erfolgt die Kündigung betriebsbedingt. Schwerbehinderten Arbeitnehmern steht bei betriebsbedingter Kündigung eine Abfindung zu.
3. Personenbedingte Kündigung
Geringe Produktivität, mangelnde Qualifikation und der Verlust von Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis können zur personenbedingten Kündigung führen. Wenn Mitarbeiter häufig bzw. dauerhaft aufgrund von Krankheit ausfallen, ist eine krankheitsbedingte Kündigung möglich.
Bei Schwerbehinderung gilt eine Kündigungsfrist von 4 Wochen zum 15. oder zum Ende eines Monats.
Da die Kündigung den schwerbehinderten Arbeitnehmer härter trifft als das Unternehmen, ändert sich gemäß § 622 BGB die Kündigungsfrist ab einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 2 Jahren wie folgt:
Beschäftigungsdauer |
Kündigungsfrist |
Bis zu 2 Jahre |
4 Wochen |
Ab 5 Jahren |
2 Monate |
Ab 8 Jahren |
3 Monate |
Ab 10 Jahren |
4 Monate |
Ab 12 Jahren |
5 Monate |
Ab 15 Jahren |
6 Monate |
Ab 20 Jahren |
7 Monate |
Das Kündigungsschreiben muss weitere formale und inhaltliche Anforderungen erfüllen:
Sie haben eine Kündigung erhalten? Sie können sich an die folgenden Sofortmaßnahmen halten, um keinen Handlungsspielraum zu verschenken und das bestmögliche Ergebnis aus der Situation herauszuholen.
Kündigungen und andere vertragliche Dokumente müssen nicht umgehend unterschrieben werden. Da Sie mit Ihrer Unterschrift auch eine ungerechtfertigte Kündigung akzeptieren, können Sie den Vorgesetzten zunächst um Bedenkzeit bitten.
Gemäß § 38 SGB III müssen Sie sich innerhalb einer 3-Tages-Frist nach Erhalt der Kündigung arbeitssuchend melden, um Kürzungen beim Arbeitslosengeld zu vermeiden – auch dann, wenn die Kündigung ungerechtfertigt oder fehlerhaft ist und Sie vor einem Arbeitsgericht klagen werden.
Sie können Ihre Kündigung von einem Anwalt für Behindertenrecht überprüfen lassen. Sind alle Anforderungen an eine Kündigung bei Schwerbehinderung erfüllt? Enthält das Kündigungsschreiben formale oder inhaltliche Fehler? Ist Ihre Kündigung unzulässig, kann der Jurist Ihr Recht außergerichtlich oder im Kündigungsschutzprozess durchsetzen.
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Sie können gegenüber Ihrem Arbeitgeber und – falls vorhanden – den Arbeitnehmervertretungen deutlich machen, dass Sie die Kündigung nicht akzeptieren und daher mit anwaltlicher Unterstützung Klage einreichen möchten.
Um einem langwierigen Rechtsstreit zu entgehen, können Arbeitgeber bei unklarer Ausgangslage eine außergerichtliche Einigung anbieten. Sie können dann eine angemessene Abfindung erhalten und verzichten im Gegenzug auf eine Klage. Schwerbehinderte Angestellte öffentlicher Einrichtungen können durch diese Vorgehensweise eine Abfindung im öffentlichen Dienst erreichen.
Im Kündigungsschutzprozess überprüft ein Arbeitsgericht die Zulässigkeit der Kündigung.
Wenn Sie sich juristisch gegen eine Kündigung wehren möchten, haben Sie nach Erhalt nur 3 Wochen Zeit, um Kündigungsschutzklage einzureichen.
Wichtig: Wer die 3-Wochen-Frist für die Kündigungsschutzklage versäumt, hat keine Möglichkeit mehr, zu widersprechen – die Kündigung ist wirksam, auch wenn sie eigentlich nicht gerechtfertigt war.
In der ersten Instanz herrscht vor dem Arbeitsgericht kein Anwaltszwang. Das heißt, Arbeitnehmer können selbstständig Kündigungsschutzklage einreichen und ihrem Arbeitgeber auch im Kündigungsschutzprozess ohne anwaltlichen Beistand gegenübertreten.
Empfehlenswert ist das nicht: Nur ein Anwalt kann vorab rechtssicher einschätzen, ob eine Kündigungsschutzklage Aussicht auf Erfolg hat.
Kommt es vor dem Arbeitsgericht zur Verhandlung zwischen einem anwaltlich vertretenen Unternehmen und einem juristischen Laien, kann es sein, dass der Arbeitnehmer seinen Spielraum für die Abfindung nach Kündigung nicht vollständig ausnutzt.
Mit unserem Abfindungsrechner können Sie ganz einfach per Klick herausfinden, welche Abfindungssumme in Ihrem Fall möglich wäre:
Reichen Sie Kündigungsschutzklage ein, sind 3 Ausgänge möglich:
1. Vergleich
Während oder sogar noch vor der Verhandlung kann der Arbeitgeber dem Angestellten die Zahlung einer Abfindung anbieten, wenn er im Gegenzug die Kündigungsschutzklage zurückzieht.
2. Gerichtsurteil: Kündigung ist unzulässig
Weist das Gericht die Kündigung als unwirksam zurück, besteht theoretisch Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann nach einem Rechtsstreit aber so zerrüttet sein, dass stattdessen eine angemessene Abfindung gezahlt wird.
3. Gerichtsurteil: Kündigung ist rechtens
Die Kündigung ist wirksam und das Arbeitsverhältnis damit offiziell beendet. Der Kläger muss die entstandenen Gerichtskosten und zusätzlich seine Anwaltskosten zahlen. Sie können beim Arbeitsgericht dagegen Berufung einlegen.
Im Kündigungsschutzprozess entstehen Gerichtskosten, die sich am Streitwert bemessen. Der Streitwert entspricht den letzten 3 Monatsgehältern des Arbeitnehmers:
Lassen Sie sich von einem Anwalt bei der Verhandlung mit Ihrem Arbeitgeber unterstützen, entstehen dafür Anwaltskosten, die ebenfalls vom Streitwert abhängen.
Die eigenen Anwaltskosten muss jede Partei selbst tragen – unabhängig vom Ergebnis des Gerichtsprozesses. Die Gerichtskosten trägt immer die unterlegene Partei.
Es gibt 3 Möglichkeiten, um die Anwalts- & Gerichtskosten zu reduzieren:
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Die Kündigung eines Schwerbehinderten ist an zahlreiche Vorgaben gebunden.
Um eine unzulässige Kündigung und einen kostenintensiven Kündigungsschutzprozess zu vermeiden, bieten sich 3 Alternativen an:
Anstatt das Arbeitsverhältnis zu beenden, kann der Arbeitgeber dem Mitarbeiter eine Änderungskündigung anbieten: Nach Kündigung des Arbeitsvertrages erhält der Arbeitnehmer einen neuen Vertrag mit angepassten Konditionen (z. B. mit reduzierter Arbeitszeit).
Die Zustimmung des Integrationsamtes ist zwar auch für eine Änderungskündigung erforderlich. Da das Unternehmen aber versucht, den Arbeitsplatz zu erhalten, ist das Einverständnis von Integrationsamt und Arbeitgebervertretungen wahrscheinlich.
Mit einem Aufhebungsvertrag beenden Arbeitgeber und Schwerbehinderter das Arbeitsverhältnis einvernehmlich: Der Mitarbeiter erhält eine angemessene Abfindung und der Arbeitgeber muss weder die Anforderungen des besonderen noch des allgemeinen Kündigungsschutzes berücksichtigen.
Auch beim Abwicklungsvertrag sichert der Arbeitnehmer zu, gegen Zahlung einer Abfindung auf eine Kündigungsschutzklage zu verzichten. Der Abwicklungsvertrag regelt aber nur die Kündigungsfolgen (bspw. Abfindung, Freistellung, Überstunden). Es bedarf also zusätzlich einer ordentlichen Kündigung.
Das Gesetz schreibt in der ersten Instanz eines Kündigungsschutzprozesses keinen Anwalt vor. Sie können selbst Kündigungsschutzklage einreichen und auch selbst vor Gericht gegen Ihren Arbeitgeber antreten.
Sich einen Anwalt für Arbeitsrecht zu nehmen, kann aber sinnvoll sein: Er kann Ihre Situation rechtssicher einschätzen und Sie vor einem aussichtslosen Rechtsstreit bewahren.
Im Kündigungsschutzprozess lässt sich die Arbeitgeberseite wahrscheinlich juristisch vertreten. Lassen Sie sich auch von einem Anwalt vertreten, besteht vor Gericht Chancengleichheit.
Der Jurist kann eine passende Verhandlungsstrategie entwickeln und weiß, wie er optimal auf die taktischen Manöver der Gegenseite reagiert.
So kann ein Anwalt für Arbeitsrecht Sie unterstützen:
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Als Mitglied der juristischen Redaktion von advocado widmet sich Jasmin Leßmöllmann komplexen Fragestellungen aus dem Arbeits-, Medizin- und Erbrecht. Dabei ist sie bestrebt, dem Leser schwierige juristische Sachverhalte verständlich aufzubereiten und die beste Lösung anzubieten.