Wenn Selbstständige nur einen Auftraggeber haben, für diesen weisungsgebunden arbeiten und 85 % ihrer Umsätze über diesen erwirtschaften, wird ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis angenommen. Ergibt ein Statusfeststellungsverfahren, dass eine solche Scheinselbstständigkeit vorliegt, müssen Scheinselbstständige Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Zudem drohen Geld- oder Freiheitsstrafen.
Von Scheinselbstständigkeit spricht man, wenn eine Person nach außen als selbstständiger Auftragnehmer auftritt, jedoch nach § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) ihre Aufgaben wie ein beschäftigter sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer erfüllt.
Das bedeutet: Wenn die Aufgaben eines Selbstständigen vom zeitlichen und inhaltlichen Umfang her denen eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers ähneln und dieser weder unternehmerisches Risiko noch unternehmerische Freiheit hat, liegt wahrscheinlich ein scheinselbstständiges bzw. versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vor.
Weil selbstständige Auftragnehmer keine Beiträge zur Sozialversicherung zahlen müssen, drohen bei einer nachgewiesenen Scheinselbstständigkeit die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen – und strafrechtliche Konsequenzen wegen Versicherungsbetrugs.
Ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, wird anhand verschiedener Kriterien geprüft:
Das erste Kriterium der Selbstständigkeit beschreibt die Übernahme eines gewissen unternehmerischen Risikos.
Fallen ein oder mehrere Aufträge weg, trägt der Auftragnehmer das finanzielle Risiko des Verdienstausfalls. Außerdem tragen Selbstständige das Risiko für u. a. Investitionen in Arbeitsmittel oder Weiterbildungen. Bei einem sozialversicherungsrechtlich relevanten bzw. scheinselbstständigen Arbeitsverhältnis ist dies nicht der Fall.
Das zweite Kriterium ist die sogenannte unternehmerische Entscheidungsfreiheit. Damit ist gemeint, dass selbstständige Auftragnehmer – im Gegensatz zu einem Angestellten – über folgende Punkte selbst entscheiden:
Selbstständige Auftragnehmer legen also u. a. ihre Aufgaben und Arbeitszeiten eigenverantwortlich fest und sind nicht weisungsgebunden. Der Auftraggeber schreibt nicht vor, wann diese was wo zu tun haben.
Wer laut SGB allerdings als Selbstständiger in eine bestehende Arbeitsorganisation eingegliedert ist – also vom Arbeitgeber z. B. einen Schreibtisch, einen Laptop und eine Firmen-Mailadresse erhält – riskiert hohe Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen und strafrechtliche Konsequenzen wegen eines scheinselbstständigen bzw. versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisses.
Daneben werden u. a. folgende wirtschaftliche Faktoren für eine Beurteilung von Scheinselbstständigkeit herangezogen:
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In den folgenden Berufsgruppen kann eine Scheinselbstständigkeit vorkommen:
Bei einem Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV möchte eine Behörde oder ein Sozialversicherungsträger feststellen, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt bzw. sich das Verhältnis zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber von einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis unterscheidet.
Dazu werden geschlossene Verträge sowie tatsächliche Abläufe und Bedingungen des Arbeitsverhältnisses geprüft. Lässt sich nicht glaubhaft nachweisen, dass der selbstständige Auftragnehmer für mehr als einen Auftraggeber tätig ist und ein unternehmerisches Risiko trägt, drohen Strafen.
Eine Scheinselbstständigkeit kann laut SGB durch folgende Behörden geprüft werden:
Meist wird geprüft, wenn ein Konflikt auftritt. Stößt z. B. eine Krankenkasse im Rahmen einer Betriebsprüfung auf Anhaltspunkte für ein Beschäftigungsverhältnis, leitet sie ein Feststellungsverfahren nach dem SGB ein.
Oft ist die Frage nach der sozial- und arbeitsrechtlichen Einordnung eines Arbeitsverhältnisses nicht eindeutig zu beantworten. Deshalb wird in der Regel jeder Einzelfall individuell auf eine scheinselbstständige Beschäftigung des Auftragnehmers geprüft.
Wird eine Scheinselbstständigkeit nachgewiesen, müssen sowohl der scheinselbstständige Auftragnehmer als auch sein Auftraggeber mit finanziellen Konsequenzen und einer Strafe rechnen.
In der Regel werden beide Parteien zur Nachzahlung der Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung aufgefordert. Und die kann existenzbedrohende Auswirkungen haben – je nachdem, wie lange und in welcher Höhe die Sozialversicherungsbeiträge eingespart bzw. nicht abgeführt wurden.
Der Anspruch der Sozialversicherungsträger wie die Deutsche Rentenversicherung auf Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge verjährt erst nach 4 Jahren – bei vorsätzlicher bzw. absichtlicher Scheinselbstständigkeit sind dies sogar 30 Jahre.
Daneben können strafrechtliche Konsequenzen drohen. Können dem Scheinselbstständigen und dessen Auftraggeber Vorsatz – also Absicht – nachgewiesen werden, drohen laut § 266a StGB Geld- oder Freiheitsstrafe für Sozialversicherungsbetrug. Dies wäre der Fall, wenn es nur zu dem Beschäftigungsverhältnis gekommen wäre, um Sozialversicherungsbeiträge zu sparen oder er nebenbei Sozialleistungen bezogen hätte.
Weil aber laut SGB der Arbeitgeber die Pflicht hat, den Selbstständigen bei den Sozialversicherungsträgern zu melden, machen sich Scheinselbstständige bei einem versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis in der Regel nicht strafbar.
Wenn eine Scheinselbstständigkeit nachgewiesen werden kann, hat das rechtliche Konsequenzen für den Auftragnehmer. Zunächst wird die Selbstständigkeit beendet; nachträglich zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses erhält der Auftraggeber den Status des Arbeitnehmers.
Auftraggeber als auch Auftragnehmer werden als Gesamtschuldner bei Scheinselbstständigkeit angesehen. Das bedeutet: Der Auftraggeber kann die Arbeitnehmeranteile an den Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge für die letzten drei Monate von seinem Gehalt abziehen.
Alle Rechnungen, die bisher ausgestellt wurden, müssen vom Auftragnehmer berichtigt werden. Die ausgewiesene Umsatzsteuer wird somit als ungültig angesehen.
Auch für den Auftraggeber gibt es rechtliche Konsequenzen: Er muss Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer nachzahlen. Außerdem muss der Selbständige zum Angestellten werden, inklusive Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch und Lohnfortzahlungsverpflichtung.
Das Finanzamt kann Lohnsteuernachzahlungen rückwirkend einfordern, und zwar bis zu vier Jahren rückwirkend. Wird zudem eine vorsätzliche Scheinselbstständigkeit nachgewiesen, kann es zu Bußgeldern und sogar zu Gefängnisstrafen kommen.
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Wenn Sie Gründer oder nebenberuflich Selbstständiger sind, kann es schnell passieren, dass Sie ein scheinselbstständiges bzw. sozialrechtlich relevantes Arbeitsverhältnis eingehen.
Damit Sie als Auftragnehmer eine Scheinselbstständigkeit umgehen und sich vor eventuellen Folgen schützen können, haben wir einige Tipps für Sie zusammengestellt:
Diese Maßnahmen dienen aber lediglich der ersten Orientierung – was die für Ihren individuellen Einzelfall guten und richtigen Handlungsoptionen sind, um eine Scheinselbstständigkeit zu umgehen, kann ein Anwalt am besten beurteilen.
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Beantragen Sie ein Statusfeststellungsverfahren nach SGB bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung! Das geht schriftlich oder elektronisch und kann sowohl vom Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer initiiert werden. Das Verfahren ist kostenlos.
Suchen Sie sich mehrere Auftraggeber und definieren klar, welche Aufgaben Sie als Auftragnehmer übernehmen bzw. welche Leistungen Sie erbringen. Sie legen fest, in welchem Umfang Sie für welche Kunden tätig sein möchten.
Dabei spielt auch die Preiskalkulation eine Rolle. Sie müssen kostendeckend und gewinnbringend arbeiten. Legen Sie deshalb Ihren Stundensatz und auch Wochenend-, Feiertags- oder Dringlichkeitszuschläge fest. Ihr Honorar sollte so kalkuliert sein, dass Sie Rücklagen für Krankheitszeiten, Steuern oder das Alter bilden können.
Entsprechen Ihre Stundensätze denen von festangestellten Mitarbeitern oder liegen sogar darunter, kann das Ihr Risiko erhöhen, als scheinselbstständig eingestuft zu werden.
Dazu zählen u. a. ein Laptop, Arbeitskleidung in Pflegeberufen oder spezielle Verbrauchsmittel wie Druckertinte oder Benzin. Denken Sie in diesem Zusammenhang immer daran, Quittungen oder Rechnungen aufzubewahren. Diese können Sie später als Ausgaben in Ihrer Steuererklärung angeben.
Sind Sie als Auftragnehmer verpflichtet, bestimmte Hard- oder Software vom Auftraggeber zu benutzen, dann vereinbaren Sie schriftlich eine kostenpflichtige Überlassung. Berücksichtigen Sie diese Kosten in Ihrer Buchführung und Steuererklärung!
Zeigen Sie sich – online wie offline! Durch einen professionellen Unternehmensauftritt z. B. mit einer Webseite, Visitenkarten, Flyern oder Werbeanzeigen gelingt Ihnen das.
Machen Sie andere Auftraggeber auf sich und Ihre Leistungen aufmerksam und gewinnen so neue Kunden. Mit mehreren Auftraggebern gelingt Ihnen der Nachweis, dass Sie nicht scheinselbstständig sind.
Unsere Checkliste gibt Ihnen eine erste Einschätzung zum Thema Scheinselbstständigkeit. Je mehr Kästchen Sie ankreuzen können, desto wahrscheinlicher lässt sich eine Scheinselbstständigkeit umgehen – und damit Verstöße gegen die Versicherungspflicht und ggf. hohe Nachzahlungen von Lohnsteuer und dem Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung.
✓ Haben Sie mehr als einen Auftraggeber?
Bei nur einem Auftraggeber über lange Zeit gehen Sozialversicherungsträger oder andere Behörden von einem sozialversicherungsrechtlichen Arbeitsverhältnis und Scheinselbstständigkeit aus.
✓ Nutzen Sie eigene Arbeitsmittel/-geräte?
Sozialversicherungsträger könnten ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis unterstellen, wenn Selbstständige ihre Arbeitsmittel und -geräte vom Auftraggeber gestellt bekommen.
✓ Haben Sie eine Webseite und Werbemittel (Flyer, Visitenkaten)?
Eigene Marketing-Aktivitäten bringen neue Auftraggeber – und helfen dabei, Scheinselbstständigkeit zu umgehen.
✓ Arbeiten Sie selbstbestimmt und zeitlich sowie inhaltlich unabhängig von Auftraggebern?
Arbeitet der selbstständige Auftragnehmer weisungsgebunden für seinen Auftraggeber, könnte der Verdacht eines sozialversicherungsrechtlichen Arbeitsverhältnisses entstehen.
✓ Tragen Sie unternehmerisches Risiko für Ihre Tätigkeit?
Ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis liegt nahe, wenn Selbstständige das finanzielle Risiko ihrer Tätigkeit nicht selbst tragen.
Eine Scheinselbstständigkeit bzw. ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis liegt vor, wenn Sie nachweislich kein unternehmerisches Risiko tragen und keine unternehmerische Freiheit genießen. Sind Sie in Ihrem Arbeitsalltag inhaltlich und zeitlich einer angestellten Person sehr ähnlich, liegt tendenziell eine Scheinselbstständigkeit vor.
Als Prüfbehörden treten laut SGB Arbeitsgericht, Finanzamt, Rentenversicherung, Krankenversicherung oder Sozialversicherung auf.
Wird der Verdacht auf Scheinselbstständigkeit bzw. ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis durch eine Behörde bestätigt, drohen Ihnen als Auftragnehmer und dem Auftraggeber Nachzahlungen der Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Beim Nachweis einer vorsätzlich ausgeübten Scheinselbstständigkeit droht Ihnen möglicherweise sogar eine Freiheitsstrafe.
Üben Sie Ihre selbstständige Tätigkeit für mehrere Auftraggeber aus und legen Ihre Leistungen, Arbeitszeiten und Honorare selbst fest.
Als Teil der juristischen Redaktion bei advocado legt Sandra Brestrich größten Wert darauf, komplexe Sachverhalte verständlich zu erklären. Das Ziel der studierten Kommunikationswissenschaftlerin ist, die Leser gut zu informieren und ihnen Handlungsoptionen aufzuzeigen.