Erblasser können in ihrem Testament oder Erbvertrag eine Vor- und Nacherbschaft anordnen. Indem der Erblasser den Vorerben explizit als befreiten Vorerben einsetzt, kann dieser fast uneingeschränkt über den Nachlass verfügen. In diesem Beitrag erfahren Sie, was ein befreiter Vorerbe ist, welche Rechte und Pflichten auf ihn zukommen und wie ein befreiter Vorerbe im Testament eingesetzt werden kann.
Befreiter Vorerbe ist, wer vom Erblasser im Testament von den Beschränkungen und Verpflichtungen einer Vorerbschaft befreit wurde. Ein befreiter Vorerbe kann weitestgehend unbeschränkt über den Nachlass verfügen und braucht dazu nicht immer die Einwilligung des Nacherben. Allerdings ist der befreite Vorerbe nicht von sämtlichen Pflichten entbunden. Mit dem Ende der Vorerbschaft geht der Nachlass an den Nacherben über.
Ausführlichere Informationen zum Vorerbe – dem Erbe auf Zeit – finden Sie in unserem Artikel „Vorerbe“.
Erblasser können Vorerben in deren Verfügungs- und Handlungsmöglichkeiten über die Erbschaft
Der nicht befreite Vorerbe hat begrenzte Rechte. Er darf beispielsweise Grundstücke und Schiffe nicht verkaufen, übertragen oder belasten und braucht u. a. für die Hinterlegung von Wertpapieren die Zustimmung des Nacherben.
Ein befreiter Vorerbe hat im Gegensatz dazu einen größeren Handlungsspielraum und braucht für die Verwendung des Nachlasses keine Einwilligung des Nacherben. Das heißt, er kann Nachlassgegenstände veräußern oder belasten. Allerdings darf der befreite Vorerbe den Nachlass nicht verschleudern und den Nacherben dadurch absichtlich finanziell benachteiligen.
Im Regelfall wird der Vorerbe von sämtlichen Einschränkungen in seiner Verfügungsgewalt befreit. Es ist jedoch auch eine nur teilweise Befreiung von bestimmten Beschränkungen möglich.
Nach § 2136 BGB kann ein Erblasser den Vorerben von Beschränkungen befreien und ihm somit mehr Rechte zusichern. Diese stellen wir Ihnen in diesem Kapitel vor.
Ein befreiter Vorerbe darf Grundstücke, Häuser und Schiffe verkaufen oder belasten – die Einnahmen aus dem Verkauf darf er dann einbehalten. Allerdings darf der Erlös nicht in das Privatvermögen des Vorerben übergehen, sondern muss Teil der Vorerbschaft bleiben. Der Verkaufserlös tritt an die Stelle des verkauften Objekts.
Beispiel: Ein Nachlass besteht aus zwei Häusern im Wert von je 200.000 €. Der befreite Vorerbe verkauft eines von ihnen für 150.000 €. Nun umfasst die Vorerbschaft ein Haus im Wert von 200.000 € sowie ein Vermögen von 150.000 €.
Für den Verbrauch der Erbschaft gilt, dass auch dem befreiten Vorerben Grenzen gesetzt sind. So muss der Vorerbe Schadensersatz zahlen, wenn er das Vermögen der Vorerbschaft zum finanziellen Nachteil des Nacherben absichtlich verbraucht – beispielsweise indem er den Nachlass verschenkt oder verschleudert wie bei einem Casino-Besuch.
Ein befreiter Vorerbe darf die Einnahmen aus Mieten, Zinserträgen und Dividenden bis zum Eintritt des Nacherbfalls für sich beanspruchen.
Beispiel: Zum Nachlass gehört ein Haus. Dieses wird vom befreiten Vorerben für 1.000 € im Monat vermietet. Diese Mieteinnahmen darf er seinem Privatvermögen zuführen und für sich selbst verwenden – der spätere Nacherbe hat keinerlei Anspruch darauf.
Ein befreiter Vorerbe ist zur Annahme der Vorerbschaft nicht verpflichtet – sie kann ausgeschlagen werden. Dafür müssen keine besonderen Gründe vorgetragen werden.
Entscheidet sich der befreite Vorerbe für eine Erbausschlagung, kann er unter Umständen den Pflichtteil einfordern. Mit der Ausschlagung der Vorerbschaft wird der befreite Vorerbe von allen Rechten und Pflichten entbunden.
Ausführliche Informationen zur Ausschlagung eines Erbes finden Sie in unserem Beitrag „Erbteil ausschlagen“.
Laut § 2306 BGB kann ein befreiter Vorerbe die Vorerbschaft ausschlagen und stattdessen den Pflichtteil verlangen – wenn er pflichtteilsberechtigt ist. Der Nachlass geht dann direkt an den Nacherben über.
Der Pflichtteil ist eine gesetzlich festgelegte Mindestbeteiligung am Erbe eines Erblassers. Er steht Familienmitgliedern und nahen Angehörigen des Erblassers zu, die enterbt oder in zu geringem Maße bedacht wurden.
Eine Erbausschlagung hat normalerweise zur Folge, dass der Erbe den Pflichtteilsanspruch verliert. Da es sich bei der Vorerbschaft aber um ein beschwertes Erbe handelt, kann der Vorerbe zwischen
Wenn Sie Ihr Erbe aufgrund Ihrer Einsetzung als befreiter Vorerbe ausschlagen wollen und Ihnen die Auszahlung Ihres Pflichtteils verweigert wird, kann die Konsultation eines Anwalts hilfreich sein. Dieser kann mit den übrigen Erben in Dialog treten und Sie – wenn nötig – bei einer Pflichtteilsklage unterstützen. Gerne können Sie sich von einem Partner-Anwalt für Erbrecht im Rahmen einer kostenlosen Ersteinschätzung über Ihre juristischen Möglichkeiten beraten lassen.
Obwohl ein befreiter Vorerbe von vielen Handlungsfreiheiten profitiert, ist auch er mit einer Reihe von Pflichten belegt. Für den befreiten Vorerben gilt – wie auch für den beschränkten Vorerben –, dass die Vorerbschaft getrennt vom Privatvermögen als Sondervermögen behandelt werden muss.
Welchen Pflichten der befreite Vorerbe außerdem nachkommen muss, erläutern wir Ihnen in diesem Kapitel.
Gemäß § 2121 BGB ist ein befreiter Vorerbe zur Auflistung des Erbes in einem Nachlassverzeichnis verpflichtet – falls der Nacherbe dies verlangt. Ein solches Nachlassverzeichnis beinhaltet sämtliche Vermögenswerte und Schulden des Erblassers. Der Vorerbe muss das Verzeichnis mit dem Datum und seiner Unterschrift versehen.
Das Nachlassverzeichnis kann auf Verlangen des Nacherben auch durch einen Beamten oder einen Notar aufgenommen und beglaubigt werden. Die Kosten kann der Vorerbe aus den Mitteln der Erbschaft begleichen.
Außerdem darf ein befreiter Vorerbe nach § 2113 BGB weder Nachlassgegenstände noch Grundstücke, Immobilien oder Schiffe aus der Vorerbschaft verschenken. Eine Ausnahme bilden Schenkungen, die aufgrund einer sittlichen Pflicht oder anstandshalber getätigt wurden – beispielsweise Hochzeitsgeschenke.
Ein befreiter Vorerbe ist laut § 2138 Absatz 2 BGB zu Schadensersatzzahlungen gegenüber dem Nacherben verpflichtet, wenn er Nachlassgegenstände aus der Vorerbschaft verschenkt oder den Nacherben bewusst durch die Schmälerung des Erbes benachteiligt.
Mögliche Schadensersatzansprüche muss der Nacherbe aktiv geltend machen und kann sie – wenn nötig – mithilfe einer Zivilklage gelten machen.
Auf Wunsch des Nacherben muss ein befreiter Vorerbe laut § 2122 BGB den Zustand der Erbschaft einmalig durch einen Sachverständigen feststellen lassen. Das heißt, dass sämtliche Nachlassgegenstände protokolliert werden und ihre derzeitige Beschaffenheit festgestellt wird. Dabei wird nicht – wie im Rahmen des Nachlassverzeichnisses – auf den bloßen Wert der Nachlassgegenstände abgestellt.
Gehört zum Nachlass beispielsweise ein Haus, prüft der Sachverständige, inwieweit dieses renoviert und instandgehalten worden ist. Wurde dies festgehalten, kann der Nacherbe verlangen, dass das Haus vom Vorerben in eben diesem Zustand gehalten wird.
Laut § 2145 BGB haftet der Vorerbe, ob befreit oder beschränkt, für die Nachlassverbindlichkeiten – wie Schulden oder Bestattungskosten – aus der Vorerbschaft. Die Verbindlichkeiten können aus dem Nachlass getilgt werden.
Steuerlich werden Vor- und Nacherbschaft als zwei Erbfälle betrachtet. Daher fällt die Erbschaftssteuer zweimal an: Wenn der Nachlass an den Vorerben weitergeben wird und ein zweites Mal, wenn der Nachlass vom Vorerben auf den Nacherben übergeht. Der Vorerbe kann die Erbschaftssteuer aus den Geldmitteln der Vorerbschaft entrichten.
Ausführliche Informationen zur Erbschaftssteuer und Möglichkeiten ihrer Reduzierung finden Sie in unserem Beitrag „Erbschaftssteuer umgehen“.
Soll ein befreiter Vorerbe eingesetzt werden, muss dies explizit vom Erblasser im Testament angeordnet werden. Wann die Benennung eines befreiten Vorerben sinnvoll ist und welche inhaltlichen sowie formalen Anforderungen beachtet werden müssen, erfahren Sie in diesem Kapitel.
Im Allgemeinen ist die Einsetzung eines Vorerben sinnvoll, wenn:
Wann darüber hinaus ein befreiter Vorerbe eingesetzt werden sollte und wann nicht, ist immer abhängig vom konkreten Einzelfall und der Familienkonstellation. Im Folgenden werden Ihnen zur Verdeutlichung drei Fälle vorgestellt.
Im Berliner Testament setzen sich die Ehe- oder eingetragene Lebenspartner gegenseitig als Alleinerben ein. Der länger lebende Ehepartner wird nach dem Tod des ersten Ehepartners Vorerbe, Nacherben sind oftmals die gemeinsamen Kinder.
Damit der hinterbliebene Partner sowohl finanziell abgesichert ist als auch seinen Lebensstil wie gewohnt fortführen kann, sollte er als befreiter Vorerbe benannt werden. Nur so kann er ohne Einschränkungen über das Erbe verfügen.
Ausführlichere Informationen finden Sie in unserem Beitrag „Berliner Testament“.
Ebenfalls Sinn macht die Einsetzung einer Vor- und Nacherbschaft, wenn ein minderjähriger oder noch nicht geborener Erbe bedacht werden soll. Für diesen Fall kann der Erblasser zunächst eine Person als Vorerben bestimmen und den Eintritt des Nacherbfalls an eine Bedingung knüpfen – z. B. an die Geburt eines Enkels oder dessen Volljährigkeit. Auf diese Weise kann verhindert werden, dass die Eltern des minderjährigen oder noch nicht geborenen Erben dessen Erbteil, den sie für ihn verwalten, für sich verwenden und schmälern.
Ob in diesem Fall ein beschränkter oder befreiter Vorerbe eingesetzt werden sollte, ist abhängig vom Einzelfall. Kann der Erblasser darauf vertrauen, dass der Vorerbe den Nachlass in seinem Sinne behandelt und den künftigen Nacherben nicht benachteiligt – etwa durch den Verkauf von Immobilien –, kann er durchaus befreit werden.
Hinterlässt Erblassers einen pflegebedürftigen oder behinderten Angehörigen, kann dieser durch die Einsetzung einer Vor- und Nacherbschaft nachhaltig abgesichert werden – man spricht von einem Behindertentestament. Dabei erbt zunächst der auf Hilfeleistungen angewiesene Angehörige und nach ihm ein anderer.
Beteiligt sich an den Pflegekosten zu großen Teilen der Staat, sollte der behinderte Angehörige nicht als befreiter Vorerbe eingesetzt werden. Nur so kann verhindert werden, dass der Staat Teile des Erbes zur Kompensation der übernommenen Pflegekosten einfordern kann.
Ein advocado Partner-Anwalt erläutert Ihnen in einer kostenlosen Ersteinschätzung das mögliche Vorgehen.
Ausführlichere Informationen finden Sie in unserem Beitrag „Behindertentestament“.
Der befreite Vorerbe muss vom Erblasser explizit im Testament oder Erbvertrag bestimmt werden. Welche Inhalts- und Formvorschriften damit verbunden sind, lesen Sie hier.
Wichtig ist, dass der Erblasser festlegt,
Sowohl für den Vor- als auch den Nacherben sollten
genannt werden. So können spätere Unklarheiten vermieden werden und Verwechslungen sind ausgeschlossen.
Wichtige Formvorschriften sind bei jeder Art von Testament:
Was außerdem beachtet werden muss, lesen Sie in unserem Beitrag „Wie schreibe ich ein Testament?“ (sehr ausführlicher Leitfaden zum Thema).
Vor allem, wenn das Ende der befreiten Vorerbschaft an bestimmte Bedingungen geknüpft oder ein noch nicht geborener Verwandter als Nacherbe eingesetzt werden soll, kann die Ausformulierung knifflig werden.Im Folgenden stellen wir Ihnen daher zwei Muster-Formulierungen für die Einsetzung eines befreiten Vorerben zur Verfügung. Bitte beachten Sie, dass es sich dabei lediglich um Beispiele handelt – die konkrete Formulierung ist immer abhängig vom Einzelfall und individuellen Rahmenbedingungen.
„Hiermit bestimme ich, Margot Mustermann, dass mein Sohn Moritz Mustermann als befreiter Vorerbe eingesetzt werden soll. Mein Enkel, Karl Mustermann, soll seine Nacherbschaft antreten, sobald er das 18. Lebensjahr erreicht hat.
Ort und Datum
Unterschrift der Erblasserin“
„Wir, die Eheleute Hans und Ulrike Mustermann, setzen uns gegenseitig als befreite Vorerben ein. Verstirbt einer von uns, geht das Erbe an den Längerlebenden über, der gemäß den gesetzlichen Bestimmungen befreiter Vorerbe ist. Als Nacherben setzen wir unsere Tochter Lisa ein. Sie soll erst mit dem Tod des zweiten Ehepartners erben.
Ort und Datum
Unterschrift beider Erblasser“
Wenn ein befreiter Vorerbe eingesetzt werden soll, ist dies sowohl mit Vorteilen als auch mit Nachteilen verbunden und sollte daher gut durchdacht werden. Um Sie bei Ihrer Entscheidung zu unterstützen, finden Sie hier eine Gegenüberstellung:
✓ Kaum Beschränkungen in der Verfügungsgewalt über die Vorerbschaft,
✓ Gewinne aus Mieteinnahmen, Zinsen oder Dividenden sowie
✓ finanzieller Schutz und mehr Rechte für hinterbliebene Ehepartner.
X Haftung für Nachlassverbindlichkeiten und doppelte Zahlung der Erbschaftssteuer,
X Schmälerung der Erbschaft und
X Weitergabe an den Nacherben.
Die Ernennung eines befreiten Vorerben sollte gut durchdacht werden, da der breite Handlungsspielraum das Erbe deutlich schmälern kann – und der Nacherbe möglicherweise nur einen geringen Teil des Erbes erhält. Ihre Fragen zum befreiten Vorerben beantwortet Ihnen ein advocado Partner-Anwalt in einer kostenlosen Ersteinschätzung.
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