Existiert kein Testament oder Erbvertrag, der die Erfolge regelt, so greift die gesetzliche Erbfolge und bestimmt gemäß des Verwandtschaftsgrades, wer erbberechtigt ist und wer nicht. Erben mit Anspruch auf einen gesetzlichen Erbteil können darüber hinaus weitere Pflichtteilsansprüche haben – vor allem, wenn das tatsächliche Erbe geringer als der Pflichtteil ausfällt. Was kleiner und großer Pflichtteil sind und wer einen Anspruch geltend machen kann, erfahren Sie im nachfolgenden Beitrag.
Der Erbanspruch wird durch das Gesetz oder durch den letzten Willen des Erblassers in Form eines Testaments oder Erbvertrags geregelt. Die Erben haben nicht viel Spielraum, um die Höhe der Beteiligung am Nachlass selbst zu beeinflussen – mit Ausnahme von Ehepartnern, die im Güterstand einer Zugewinngemeinschaft leben. Ihnen stehen neben dem eigentlichen Erbe weitere Pflichtteilsansprüche zu. Abhängig von der Größe der Familie, dem Wert der Zuwendung durch den Erblasser und der Höhe des Zugewinnausgleichs haben Ehepartner die Wahl zwischen dem großen & kleinen Pflichtteil.
Der längerlebende Ehepartner hat ein Anrecht auf den großen Pflichtteil, sofern er mit dem Erblasser in einer Zugewinngemeinschaft gelebt hat und diese nicht vorab beendet wurde.
Außerdem muss ihm ein Vermächtnis oder ein Teil des Erbes zugedacht worden sein, der aber geringer als der Pflichtteil bei einer Enterbung ist. Dann steht dem Ehepartner ein Zusatzpflichtteil bzw. Pflichtteilsrestanspruch gemäß §§ 2305, 2307 Abs. 1 S. 2 BGB zu. Dieser wird als großer Pflichtteil bezeichnet. Er beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, der um den pauschalisierten Zugewinnausgleich von ¼ gemäß § 1371 BGB erhöht wurde.
Voraussetzungen für den großen Pflichtteil:
Beispiel 1:
Das Erbe von A beträgt 100.000 €, seiner Ehefrau vermacht er 15.000 € (weniger als ihr gesetzlicher Erbteil).
(Zusatzinfo: Sie lebten in einer Zugewinngemeinschaft ohne Kinder, es gibt aber Erben zweiter Ordnung):
Der Ehefrau stehen somit insgesamt 37.500 € zu. Der Wert ihres Vermächtnisses bzw. Erbteils muss hiervon allerdings noch abgezogen werden.
Beispiel 2:
Das Erbe von A beträgt 100.000 €, seiner Ehefrau vermacht er 15.000 € (weniger als ihr gesetzlicher Erbteil).
(Zusatzinfo: Sie lebten in einer Zugewinngemeinschaft mit zwei Kindern):
Der Ehefrau stehen somit insgesamt 25.000 € zu. Der Wert ihres Vermächtnisses bzw. Erbteils muss hiervon ebenfalls noch abgezogen werden.
Hierbei handelt es sich um die sogenannte erbrechtliche Lösung, die z. B. bei kurzer Ehedauer und einem hohen Anfangsvermögen sinnvoll sein kann, da der Hinterbliebene dadurch möglicherweise bessergestellt werden kann.
Im Gegensatz zum großen Pflichtteil ist für den kleinen Pflichtteil das Ausschlagen des Erbes bzw. die Enterbung eines Ehepartners ausschlaggebend. In diesen beiden Fällen erhält er bei dieser güterrechtlichen Lösung den konkreten, nach den Vorschriften der §§ 1373–1383 und 1390 BGB errechneten Zugewinnausgleich und seinen Pflichtteil. Um den kleinen Pflichtteil zu berechnen, wird der gesetzliche Erbteil gemäß § 1931 BGB halbiert. Neben Erben erster Ordnung (Kinder) beträgt der gesetzliche Erbteil des Ehegatten ¼ und bei Erben zweiter Ordnung oder Großeltern ½.
Voraussetzungen für den kleinen Pflichtteil:
Achtung: Da es sich bei diesem Zugewinnausgleich um eine Nachlassverbindlichkeit handelt, ist er vor der Berechnung des Pflichtteilsanspruchs vom ursprünglichen Nachlasswert abzuziehen.
Beispiel 1:
Das Erbe von A beträgt 100.000 € (der Zugewinnausgleich ist bereits abgezogen), seine Ehefrau wurde von ihm enterbt oder hat ihren zu geringen Erbteil ausgeschlagen.
(Zusatzinfo: Sie lebten in einer Zugewinngemeinschaft ohne Kinder, es gibt aber Erben zweiter Ordnung):
Das Erbe der Ehefrau beträgt 25.000 € (kleiner Pflichtteil) plus den konkret berechneten Zugewinnausgleich.
Beispiel 2:
Das Erbe von A beträgt 100.000 €, seine Ehefrau wurde von ihm enterbt oder hat ihren zu geringen Erbteil ausgeschlagen.
(Zusatzinfo: Sie lebten in einer Zugewinngemeinschaft mit zwei Kindern):
Das Erbe der Ehefrau beträgt 12.500 € (kleiner Pflichtteil) plus den konkret berechneten Zugewinnausgleich.
Je nachdem, wie hoch der Zugewinnausgleich ausfällt, kann es daher sinnvoll sein, ein zu geringes Erbe (durch das man den großen Pflichtteil erhalten würde) auszuschlagen und stattdessen den kleinen Pflichtteil plus konkreten Zugewinnausgleich zu verlangen.
Die Begriffe großer & kleiner Pflichtteil können irreführend sein, da man mit dem kleinen Pflichtteil je nach Einzelfall auch mehr Geld erhalten könnte als mit dem großen Pflichtteil.
Warum die im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebenden Ehepartnern einen Spielraum beim großen und kleinen Pflichtteils haben, erklärt sich mithilfe der erbrechtlichen und güterrechtlichen Vorschriften. Beide stehen nämlich in einem engen Verhältnis zueinander. § 1931 BGB bestimmt dabei, das dem Ehepartner – neben nahen Verwandten – ein gesetzliches Erbrecht zusteht. Ergänzt wird der § 1931 BGB um den des § 1371 BGB, der den Zugewinnausgleich regelt, welcher einem Ehepartner im Todesfall des anderen zusteht. Aufgrund des Zusammenspiels beider gesetzlicher Normen lässt sich das eigentliche Erbe um den großen oder kleinen Pflichtteil erhöhen.
Folgende Gestaltungsoptionen hat der verbliebene Partner, um eine Beteiligung am Nachlass zu korrigieren:
Als Ehepartner und Erbe mit Anspruch auf einen gesetzlichen Erbteil könnten Sie auch einen Anspruch auf einen großen bzw. kleinen Pflichtteil haben. Die Berechnung beider kann jedoch kompliziert sein. Ein Anwalt kann Sie dabei unterstützen und einschätzen, welcher Pflichtteil für Sie sinnvoll wäre. Zusätzlich kann er Sie über für Sie passende Alternativen informieren.
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