Eine vollständige Enterbung Pflichtteilsberechtigter durch einen Pflichtteilsentzug ist nur in seltenen Fällen möglich – und muss detailliert begründet werden. Wann eine Pflichtteilsentziehung wirksam ist, was Sie bei der Formulierung beachten sollten und welche Umstände zu einer Aufhebung dieser führen, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Ein Pflichtteilsentzug bzw. eine Pflichtteilsentziehung ist eine vollständige Enterbung einer pflichtteilsberechtigten Person. Diese hat aufgrund eines schweren Vergehens gegen den Erblasser oder einer ihm nahestehenden Person ihren Anspruch auf die gesetzliche Mindestbeteiligung am Erbe (Pflichtteil) verloren.
Welche Vergehen eine Pflichtteilsentziehung rechtfertigen und wie sie formuliert werden muss, erklären wir Ihnen im Folgenden.
Voraussetzungen für eine Pflichtteilsentziehung sind schuldhafte und rechtswidrige Handlungen. Folgende Bedingungen müssen zutreffen:
Der Erblasser kann einem Abkömmling, dem Ehepartner sowie den Eltern den Pflichtteil entziehen, wenn gegen
eine der folgenden Handlungen ausgeführt wurden:
Ferner kann der Erblasser einem Abkömmling, dem Ehepartner oder den Eltern den Pflichtteil entziehen, wenn
Neben den erläuterten Voraussetzungen kann auch eine körperliche Misshandlung zu einem Pflichtteilsentzug führen. Ein entsprechendes Urteil wurde vom Oberlandesgericht Düsseldorf getroffen:
Laut dem Urteil des OLG Düsseldorf vom 28. April 1995 (7U113/94) kann eine körperliche Misshandlung des Erblassers durch einen direkten Nachkommen zu einer Pflichtteilsentziehung führen. Allerdings reicht hierbei ein einmaliger Vorfall – beispielsweise ein Schlag ins Gesicht – nicht aus. Es muss eine Verletzung der Achtung des Erblassers vorliegen. Das Gericht betont, dass im Einzelfall ein Richter aufgrund der Schwere der Tat über den Pflichtteilsentzug entscheiden muss.
Wie bereits erwähnt, müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, um einer Person den Pflichtteil zu entziehen. Folgende Punkte müssen Sie bei der Formulierung beachten:
Wichtig ist, dass der Erblasser die Gründe detailliert aufführt und anhand von Belegen – wie einer Strafanzeige, eines Gerichtsurteils oder eines ärztlichen Attests – die Pflichtteilsentziehung begründet. Dabei müssen die Wörter „Pflichtteilsentzug“ oder „Pflichtteilsentziehung“ nicht zwingend verwendet werden. Allerdings muss klar sein, dass die Person nicht nur enterbt, sondern ihr auch der Pflichtteil entzogen werden soll.
Beispiel für die Pflichtteilsentziehung bei einer Verletzung der Unterhaltspflicht:
Ich, Annemarie Gerber, enterbe meine Tochter Claudia. Zusätzlich entziehe ich ihr den Pflichtteil, weil sie ihre Unterhaltspflicht böswillig verletzt hat. Sie war laut einem Urteil des Amtsgerichts Berlin zur Zahlung des Unterhalts verpflichtet. Trotz mehrmaligem Auffordern durch Anrufe und Briefe wurden die Zahlungen nicht getätigt, obwohl die finanziellen Mittel meiner Tochter dafür ausgereicht hätten.
Als Beweis lege ich ein Schreiben bei, indem meine Tochter mir mitteilt, dass es ihr egal ist, in welchem Zustand ich mich befinde und sie ihr Vermögen nicht für Unterhaltszahlungen verwenden wird.
Berlin, 12.12.2013
Unterschrift der Erblasserin
Eine Pflichtteilsentziehung muss zwar im Testament oder Erbvertrag benannt werden, ist aber dadurch nicht unwiderruflich. Die Gründe, die zu einer Aufhebung der Pflichtteilsentziehung führen können, werden im Folgenden näher erläutert.
Laut § 2337 BGB ist die Aufhebung einer Pflichtteilsentziehung möglich, wenn der Erblasser dem Erben vor dem Erbfall verzeiht. Besondere formale Anforderungen gibt es hier nicht. Die Verzeihung kann beispielsweise schriftlich – in Form eines Briefs oder einer elektronischen Nachricht – erfolgen. Aber auch durch schlüssiges Handeln gegenüber anderen Personen kann eine Verzeihung abgeleitet werden.
Wichtig ist, dass eine Versöhnungsbereitschaft von Seiten des Erblassers zu erkennen ist und dass der Erblasser persönlich und nicht durch Dritte die Verzeihung erklärt.
Die Entziehung des Pflichtteils ist ebenfalls unwirksam, wenn ein Abkömmling vor dem Erbfall ein unsittliches und ehrloses Leben geführt hat, dieses aber zum Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr führt und sich gebessert hat.
Wenn Sie von einer Pflichtteilsentziehung betroffen sind, können Sie diesen vor Gericht anfechten – beispielsweise wenn nicht ausreichend Beweise für einen der aufgeführten Gründe vorliegen.
Sie können sich auch mittels einer Testamentsanfechtung gegen eine Pflichtteilsentziehung wehren. Ein Testament kann jedoch nur aufgrund bestimmter Voraussetzungen angefochten werden. Einer dieser Gründe ist u. a. der Motivirrtum, bei dem der Erblasser irrtümlicherweise von einem Eintritt oder Nicht-Eintritt eines Umstandes ausging, der zur Entziehung des Pflichtteils führte.
Es kann ratsam sein, einen Anwalt zu kontaktieren, um rechtliche Schritte gegen den Pflichtteilsentzug abzuwägen.
Weitere Informationen zur Testamentsanfechtung wie beispielsweise das mögliche Vorgehen und anfallende Kosten sowie 15 Gründe, weswegen eine Anfechtung möglich ist, finden Sie in unserem Beitrag Testament anfechten.
Nicht immer sind die Voraussetzungen für eine Pflichtteilsentziehung gegeben. Um einen Pflichtteil dennoch zu umgehen bzw. ihn zu minimieren, gibt es verschiedene Alternativen. So verzichtet bei einem Pflichtteilsverzicht beispielsweise der Pflichtteilsberechtigte gegen die Zahlung einer Abfindung auf seinen Pflichtteil.
Durch Schenkungen zu Lebzeiten können demgegenüber Erbmasse und folglich der Pflichtteil verringert werden. Aber auch der Verkauf einzelner Vermögensgegenstände gegen Leibrente oder die Verlagerung von Vermögen ins Ausland sind in diesem Zusammenhang zu nennen.
Weitere Informationen zu den genannten Alternativen und was Sie hierbei beachten müssen, finden Sie in unseren Beiträgen Enterben & Pflichtteil sowie Pflichtteil umgehen.
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