Manche Erblasser wollen schon zu Lebzeiten Teile ihres Vermögens – beispielsweise Häuser oder Wohnungen – an Verwandte verschenken, damit der Pflichtteilsanspruch anderer Erben verringert wird. Will der Schenkende selbst aber noch in der Immobilie wohnen und vereinbart deswegen ein Nießbrauchsrecht mit dem Erben, hat dies Folgen für den Pflichtteilergänzungsanspruch. Welche Auswirkungen ein Nießbrauch auf den Pflichtteilergänzungsanspruch haben kann und wie sich der Ergänzungsanspruch bei Nießbrauchsvorbehalten errechnet, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Wurde ein Pflichtteilsanspruch dadurch reduziert, dass der Erblasser schon zu Lebzeiten Teile seines Vermögens an Angehörige verschenkt, so hat der Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch auf eine Ergänzungszahlung – den sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch.
Unterschied Pflichtteilsergänzungsanspruch und Pflichtteil
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch sollte nicht mit dem Pflichtteilsanspruch verwechselt werden: Der Pflichtteil sichert den Angehörigen, die an sich pflichtteilsberechtigt sind, eine Mindestbeteiligung am Erbe. Sollten nahe Verwandte enterbt werden, haben Sie in der Regel noch immer Anspruch auf den Pflichtteil. Wurde der Nachlass, aus dem auch der Pflichtteil berechnet wird, durch Schenkungen verringert, haben pflichtteilsberechtigte Angehörige einen Anspruch auf Ausgleich; dieser Ausgleich ist die Pflichtteilsergänzung.
Abschmelzung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs
Grundsätzlich ist die Höhe des Pflichtteilergänzungsanspruchs abhängig vom Wert der Schenkung. Angerechnet werden aber nur Schenkungen, die in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall getätigt wurden. Anstandsgeschenke wie etwa Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenke werden laut § 2330 BGB nicht hinzugezählt und bewirken somit keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch.
Alle Schenkungen werden nach einem Abschmelzmodell berechnet – das bedeutet, je länger die Schenkung her ist, desto geringer ist der anzurechnende Betrag. So wird beispielsweise nur eine Schenkung, die in dem letzten Jahr vor dem Erbfall getätigt wurde, zu 100 % angerechnet – alle früheren Schenkungen zu einem geringeren Anteil.
Die folgende Tabelle gibt Aufschluss.
Abschmelzung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs
Zeitpunkt der Schenkung | Anteil |
Innerhalb des 1. Jahres vor dem Todesfall | 100 % |
Bis zu 2 Jahre vor dem Todesfall | 90 % |
Bis zu 3 Jahre vor dem Todesfall | 80 % |
Bis zu 4 Jahre vor dem Todesfall | 70 % |
Bis zu 5 Jahre vor dem Todesfall | 60 % |
Bis zu 6 Jahre vor dem Todesfall | 50 % |
Bis zu 7 Jahre vor dem Todesfall | 40 % |
Bis zu 8 Jahre vor dem Todesfall | 30 % |
Bis zu 9 Jahre vor dem Todesfall | 20 % |
Bis zu 10 Jahre vor dem Todesfall | 10 % |
Ab 10 Jahre vor dem Todesfall | Keine Anrechnung |
Weitere Informationen zur Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs oder zum Abschmelzmodell finden Sie in unseren Beitrag zum Pflichtteilsergänzungsanspruch.
Ein Nießbrauch ermöglicht Nutzungsrechte, beispielsweise für Immobilien. Durch die Übertragung eines Nießbrauchrechts wird der Nießbraucher grundsätzlich kein Eigentümer, sondern darf das fremde Gut lediglich nutzen und wirtschaftliche Vorteile aus diesem ziehen – das Verfügungsrecht über den Gegenstand bleibt bei dem Eigentümer.
Oft setzten Erblasser einen Nießbrauch ein, damit sie durch Schenkungen den Pflichtteilsergänzungsanspruch von bestimmten Erben reduzieren und trotzdem das lebenslange Nutzungsecht für den verschenkten Gegenstand behalten können.
Weitere nützliche Informationen finden Sie in unserem Beitrag zum Thema „Nießbrauch".
Will ein Erblasser zu Lebzeiten sein Vermögen auf Verwandte verteilen, darf er alle zehn Jahre einen Freibetrag nutzen, der je nach Verwandtschaftsgrad des Erben variiert – bei Ehepartnern sind es beispielsweise 500.000 € und bei Kindern bis zu 400.000 €.
Besonders häufig werden Nießbrauchsvorbehalte eingesetzt, wenn Eltern schon zu Lebzeiten eine Immobilie an ihre Kinder vermachen, aber trotzdem weiterhin in dieser wohnen wollen. Durch eine mit einem Nießbrauch verbundene Schenkung können die Eltern ihren Kindern das Haus oder die Wohnung übertragen und dürfen weiterhin in der Immobilie leben.
Wollen Sie eine Immobilie vererben oder verschenken, finden sie weiterführende Informationen in unserem Beitrag zum Thema Immobilien vererben.
Grundsätzlich lösen gemäß § 2325 BGB alle Schenkungen, die nicht endgültig aus dem Verfügungsbereich des Schenkenden fallen, einen Pflichtteilsergänzungsanspruch aus. Das heißt auch, dass durch eine Schenkung bei der sich der Erblasser einen Nießbrauch gesichert hat, ein Ergänzungsanspruch bewirkt wird.
Wie oben erklärt, werden generell nur Schenkungen, die in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall getätigt wurden, auf den Pflichtteil angerechnet und können Pflichtteilsergänzungsansprüche auslösen. Wird ein Nießbrauch vereinbart, setzt die 10-Jahres Frist erst ein, wenn die Nießrechte abgelaufen sind oder der Nießbraucher keinen Gebrauch mehr von diesen machen kann – beispielsweise, wenn der Nießbrauchsvertrag abläuft oder der Erblasser verstirbt.
Verschenkt ein Erblasser zu Lebzeiten also eine Immobilie unter Nießbrauchsvorbehalt, haben Pflichtteilsberechtigte selbst nach beispielsweise 15 oder 20 Jahren noch Pflichtteilergänzungsansprüche. Eine Abschmelzung der Ansprüche findet aufgrund der fehlenden 10-Jahres Frist demnach nicht statt.
Laut einer Entscheidung des BGH vom 27. April 1994, der auch neuere Rechtsurteile folgen, beginnt die oben genannte 10-Jahres Frist erst mit dem Ableben des Erblassers, wenn dieser sich bei einer Schenkung die Nutzungsrechte für den Gegenstand gesichert hat.
Dies begründet der BGH damit, dass die tatsächliche Wertüberschreibung erst zu seinem Ableben stattfindet und er zu Lebzeiten noch vom Gegenstand profitieren kann. Von einer Vermögensübertragung, die es rechtfertigt, dass der Schenkungswert nicht mit in die Berechnung des Pflichtteilergänzungsanspruchs einfließt, kann deshalb nicht ausgegangen werden.
Die Schenkung ist mehr als zehn Jahre her und sollte deshalb grundsätzlich keine Pflichtteilergänzungsansprüche mehr auslösen. Da die Mutter sich allerdings ein Nießrecht vorbehalten und weiter in dem Haus gelebt hat, geht das BGH davon aus, dass die Schenkung erst mit dem Erbfall vollkommen eingetreten ist. Die 10-Jahres-Frist tritt deshalb nicht ein und der um den Nießbrauchswert verringerte Immobilienwert wird bei der Berechnung des Pflichtteils berücksichtigt – der Sohn hat einen Anspruch auf Pflichtteilergänzungsansprüche.
Wie bereits beschrieben, wollen Erblasser Immobilien aus ihrem Besitz oft schon zu Lebzeiten verschenken und damit Pflichtteilsansprüche ihrer Erben verringern. Da sie ihr Haus oder ihre Wohnung allerdings noch selbst bewohnen wollen, vereinbaren sie meist Nießbrauchsrechte mit den Erben. Wie in den vorigen Kapiteln erkennbar ist, werden in diesem Fall aufgrund der Verschiebung der 10-Jahres-Frist Pflichtteilsergänzungsansprüche ausgelöst – eine Minderung der Ansprüche durch eine Schenkung mit Nießbrauch ist also nicht möglich.
In einem Urteil vom 29.06.2016 hat das BGH entschieden, dass sich ein Wohnrecht des Erblassers – im Gegensatz zum Nießbrauch – nicht negativ auf die 10-Jahres-Frist auswirkt, wenn es sich um ein abgeschwächtes Wohnrecht handelt – also nur um Teile der Immobilie.
In dem konkreten Fall hat ein Ehepaar die eigene Immobilie an Kinder vermacht und sich das Wohnrecht für die untere Etage gesichert. Das BGH geht in diesem Fall davon aus, dass der Erblasser aufgrund des nur teilweisen Wohnrechts nicht mehr als Hauptbewohner gilt und die Immobilie deshalb nicht mehr wesentlich nutzen konnte.
Trotz der genannten Rechtsprechung sollten Sie beachten, dass es sich bei dem Fall um kein allgemein gültiges Urteil handelt – es muss also von Fall zu Fall entschieden werden, ob das Wohnrecht Auswirkungen auf die 10-Jahres-Frist hat.
Das Niederstwertprinzip wird zur Berechnung von Pflichtteilsansprüchen benutzt und findet Anwendung, wenn ein Grundstück oder eine Immobilie verschenkt wird. Nach diesem Prinzip wird der Wert des verschenkten Gegenstandes zum Zeitpunkt der Schenkung mit dem Wert des Gegenstandes zum Zeitpunkt des Erbfalls verglichen. Für die Berechnung des Pflichtteils – und damit auch für die Berechnung der Pflichtteilsergänzungsansprüche – ist der Niedrigere der beiden Werte maßgeblich.
Für die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs bei Nießbrauch wird das oben beschriebene Niederstwertprinzip angewandt. Dafür werden der Wert zum Zeitpunkt der Schenkung sowie der Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls ermittelt und miteinander verglichen.
Ist der Gegenstandswert zum Zeitpunkt der Schenkung niedriger als zum Zeitpunkt des Erbfalls – und gilt deshalb für die Pflichtteilsberechnung – wird der Wert des Nießbrauchrechts vom Pflichtteil abgezogen. Ist jedoch der Wert zum Zeitpunkt des Erbfalls der Niedrigere, wird der Wert des Nießbrauchs nicht abgezogen – der Nießbrauch erlischt schließlich zum Zeitpunkt des Erbfalls.
*ZP= Zeitpunkt
Beispiel:
Der Wert eines verschenkten Immobiliengrundstückes zum Schenkungszeitpunkt beträgt 410.000 € und zum Zeitpunkt des Erbfalls 400.000 €. Das lebenslange Recht zum Nießbrauch des Schenkers beträgt 200.000 €. Dieses wird aus dem kapitalisierten Wert des Nießbrauchs errechnet – also aus dem Wert, den sich der Erblasser durch den Nießbrauch erspart (beispielsweise Mietzahlungen).
Der niedrigere Wert liegt zum Zeitpunkt des Erbfalls vor und der Nießbrauch wird deshalb nicht bei der Berechnung des Pflichtteils abgezogen. Für die Berechnung des Pflichtteils werden demnach 400.000 € zugrunde gelegt.
Wäre der Schenkungswert der niedrigere Wert, würden die 200.000 € von den 410.000 € abgezogen und für die Berechnung des Pflichtteils 210.000 € zugrunde gelegt werden.
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