Ein Behindertentestament sichert die Zukunft pflegebedürftiger Angehöriger ab und verhindert einen staatlichen Zugriff auf das Erbe.
Ein Behindertentestament kann sich für Erblasser anbieten, wenn sich innerhalb der Familie ein pflegebedürftiger oder behinderter Angehöriger befindet, für dessen Pflegekosten der Staat aufkommt.
Das sind die Ziele eines Behindertentestaments:
Ein Behindertentestament geht zulasten des Sozialhilfeträgers, der durch die testamentarischen Regelungen den Anspruch auf das vererbte Vermögen verliert.
Aber: Erblasser dürfen frei über die Verwendung ihres Nachlasses entscheiden. Es sei insbesondere nachvollziehbar, dass Eltern das Erbe für ihre Kinder im größtmöglichen Umfang erhalten möchten – ohne dass diesem staatliche Leistungen und Zuwendungen verloren gehen OLG Hamm 2016, Az. 10 U 13/16.
Behinderte Menschen haben besondere Bedürfnisse, die neben finanziellen Aufwendungen vor allem ein geschütztes Lebensumfeld verlangen.
Nachlasser können mittels Behindertentestament umfassenden Einfluss auf die Zukunft ihres pflegebedürftigen Angehörigen nehmen.
Das kann u. a. gelingen durch:
Ohne Behindertentestament würde die volle staatliche Unterstützung wegfallen. Durch das Nachrangprinzip gemäß § 88 SGB übernimmt der Staat Pflege- und Sozialhilfekosten erst, wenn eine pflegebedürftige Person diese Leistungen nicht eigenständig von ihrem Privatvermögen zahlen kann.
Erhöht sich das Privatvermögen durch ein erhaltenes Erbe, fordert der Staat umgehend Ausgleichszahlungen für bereits geleistete Zahlungen – sofern das neu geschaffene Geldvermögen den Schonbetrag von derzeit 10.000 € (Stand 2024) übersteigt. Volle staatliche Unterstützung wäre erst wieder möglich, wenn das Erbvermögen aufgebraucht ist.
Damit der behinderte Erbe voll vom geerbten Vermögen profitieren kann, kann ein Behindertentestament sinnvoll sein.
Der Wunsch des Erblassers, eine gesicherte Zukunft für den pflegebedürftigen bzw. behinderten Angehörigen zu schaffen, lässt sich ohne Behindertentestament nur schwer erreichen.
Hinterlässt der Vererbende kein Testament, greift nach seinem Tod die gesetzliche Erbfolge. Der Nachlass wird dann zu gleichen Teilen zwischen den Angehörigen aufgeteilt.
Ehe- bzw. eingetragene Lebenspartner und Kinder erben immer. Entferntere Verwandte (z. B. Geschwister, Eltern oder Cousins) erben erst, wenn keine Kinder existieren.
Ist der pflegebedürftige Angehörige ein entfernter Verwandter des Erblassers, geht er durch die gesetzliche Erbfolge womöglich leer aus. Der bloße Wunsch des Nachlassers, zu Lebzeiten die Zukunft seines pflegebedürftigen Angehörigen abzusichern, genügt daher nicht.
Gibt es mehrere gesetzliche Erben und hat auch der behinderte Angehörige einen gesetzlichen Erbanspruch – z. B. weil er das Kind des Nachlassers ist –, entsteht eine Erbengemeinschaft.
Dann entscheiden alle Erben – z. B. alle Kinder und der Ehepartner des Vererbenden – gemeinschaftlich über die Nachlassverteilung bzw. Erbauseinandersetzung. Ohne testamentarische Vorgaben, welche Vermögenswerte der pflegebedürftige Erbe erhalten soll, muss sich dieser selbstständig innerhalb der Erbengemeinschaft durchsetzen – und möglicherweise um seinen Anteil am Erbe kämpfen.
Erbt der behinderte Angehörige aufgrund der gesetzlichen Erbfolge, hat der Staat einen direkten Anspruch auf Ausgleichszahlungen für bis dahin erbrachte Sozial- und Pflegeleistungen.
Gleichzeitig verliert der behinderte Erbe seinen Anspruch auf staatliche Leistungen, solange das geerbte Vermögen nicht vollständig aufgebraucht ist.
Ein Behindertentestament ist erst gültig, wenn es folgende Formvorschriften erfüllt:
Daneben enthält jedes Behindertentestament im Kern folgende Regelungen:
Setzen Nachlasser einen pflegebedürftigen Angehörigen als Vorerben ein, erhält dieser nur einen vorübergehenden Anspruch auf das Erbe: Der Vorerbe ist nur Zwischenerbe und muss den Nachlass zu einem vom Erblasser bestimmten Zeitpunkt an einen Nacherben weitergeben.
Das Erbe gilt deshalb nicht als Vermögenszuwachs des Behinderten und kann nicht vom Staat eingefordert werden.
Ordnet der Vererbende eine Vor- und Nacherbschaft an, kann er frei entscheiden, welche Rechte der behinderte Angehörige während seiner Zeit als Vorerbe haben soll. Er hat die Wahl zwischen befreiter und nicht befreiter Vorerbschaft.
Nacherben können im Fall einer nicht befreiten Vorerbschaft starken Einfluss nehmen. Daher kann es sinnvoll sein, einen Nacherben auszuwählen, der dem behinderten Vorerben nahesteht und in dessem Sinne über die Vermögensverwendung entscheidet.
Hat der pflegebedürftige Angehörige geistige Einschränkungen, kann es sinnvoll sein, seine Vorerbschaft durch eine Dauertestamentsvollstreckung abzusichern.
Ein Testamentsvollstrecker steht dem pflegebedürftigen Angehörigen im Erbfall beratend zur Seite und verwaltet dessen Erbteil. Gibt es weitere Erben, kontrolliert er außerdem die Erbauseinandersetzung.
Erblasser können im Behindertentestament zudem bestimmen, für welche Zwecke der Vollstrecker das Erbe des pflegebedürftigen Angehörigen einsetzen darf. Die Verwendungsmöglichkeiten sind vielfältig:
Familienmitglieder können die Testamentsvollstreckung bei behinderten Erben übernehmen. Auch Vereine, Stiftungen oder ein vertrauensvoller Anwalt können diese Rolle einnehmen. In diesem Fall kann eine Regelung zur Vergütung der eingesetzten Person sinnvoll sein.
Ein alleinstehender Vater hinterlässt seinen beiden Kindern folgendes Erbvermögen:
Haus im Wert von 100.000 €
+ Barvermögen & Anlagen im Wert von 200.000 €
= Erbmasse im Wert von 300.000 €
Laut Behindertentestament sollen seine beiden Kinder zu gleichen Teilen erben – jedem Kind steht ein Erbteil von 150.000 € zu. Der pflegebedürftige Sohn soll das Haus erben, seine behinderte Tochter die Wertanlagen. Da der Sohn somit einen geringeren Erbanteil erhält als festgelegt, muss die Tochter eine Ausgleichszahlung im Wert von 50.000 € leisten.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wie ein Behindertentestament die Zukunft eines behinderten Angehörigen absichern und staatlichen Zugriff auf das Erbe verhindern kann:
Ebenso wie die Vor- und Nacherbschaft verhindert die Dauertestamentsvollstreckung, dass der Staat auf das Erbe zugreifen kann: So untersagt § 2214 BGB Dritten den Zugriff auf Vermögenswerte, die der Verwaltung eines Testamentsvollstreckers unterliegen.
Erblasser könnten den staatlichen Zugriff umgehen, indem sie ihren behinderten Angehörigen enterben. Durch die Enterbung soll der behinderte Angehörige mittellos bleiben und weiterhin die Sozialleistungen des Staates beziehen können. Die bestehende Erbmasse wird auf andere Erben verteilt.
Allerdings besitzen enterbte Angehörige möglicherweise einen Pflichtteilsanspruch, den der Staat im Erbfall als Ausgleichszahlung geltend macht – sofern der Pflichtteil den Schonbetrag von derzeit 10.000 € (Stand 2024) übersteigt.
Um dies zu verhindern, können Nachlasser und behinderter Angehöriger bereits zu Lebzeiten einen Pflichtteilsverzicht vereinbaren.
Ein Pflichtteilsverzicht ist ein Vertrag zwischen Erblasser und Erben, der den Verzicht auf Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche regelt. Diesen muss ein Notar beglaubigen.
Das Vermächtnis gilt als Alternative zum klassischen Erbe. Vererbende können ihrem behinderten Angehörigen Zuwendungen vermachen, die dessen besonderen Bedürfnissen dienen.
Hierfür müssen Erblasser in ihrem letzten Willen konkret festhalten, welche Gegenstände der behinderte Angehörige aus der Erbmasse erhalten soll. Das können z. B. sein:
Grundsätzlich darf der Sozialstaat nicht auf die vermachten Zuwendungen zugreifen. Eine Ausnahme stellen vermachte Geldmittel dar, die die Freibeträge pflegebedürftiger Personen überschreiten.
Der Staat greift erst auf das Erbe zu, wenn dieses den Schonbetrag des pflegebedürftigen Angehörigen überschreitet. Derzeit beträgt der Schonbetrag für Geldvermögen behinderter Menschen 10.000 € (Stand 2024).
Abhängig von der jeweiligen Lebenssituation erhöht sich der Schonbetrag – beispielsweise wenn ein Ehepartner oder unterhaltspflichtige Kinder vorhanden sind.
Für materielle Werte hingegen besteht grundsätzlich kein Schutz vor dem staatlichen Zugriff. Eine Ausnahme stellen folgende Vermögenswerte dar:
Übersteigt das zu erwartende Erbe eines pflegebedürftigen Angehörigen dessen Schonvermögen nicht, kann der Staat nicht auf das erhaltene Erbe zugreifen.
Hierfür können Erblasser das Erbe des Behinderten auch einkürzen durch z. B. die Verteilung auf weitere Erben oder Vermächtnisse. Alternativ können sie den Erbteil des behinderten Angehörigen vor seinem Tod in zugriffsgeschützte Nachlassgegenstände investieren – z. B. in eine Immobilie.
Je nachdem, ob Sie Ihr Behindertentestament selbst schreiben, von einem Notar beurkunden lassen oder Hilfe bei einem Anwalt suchen, können verschiedene Kosten auf Sie zukommen.
Erblasser können entscheiden, ob sie selbst das Testament schreiben, eine Mustervorlage verwenden oder es mithilfe eines Notars oder Anwalts erstellen möchten. Da ein Behindertentestament jedoch unterschiedlichste Regelungen des Sozial-, Betreuungs-, Familien- und Erbrechts vereint, kann es sinnvoll sein, juristische Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Im Internet finden sich zahlreiche Mustervorlagen, die mittels einer Vorerbschaft-Regelung ein rechtssicheres Behindertentestament versprechen. Diese Mustervorlagen können jedoch nachteilig sein
Es gibt kein standardisiertes Behindertentestament. Jeder Erblasser muss individuelle Regelungen treffen, die seine familiären und finanziellen Verhältnisse berücksichtigen – und die Wünsche aller Beteiligten achten. So kann es sinnvoll sein, wenn Nachlasser bereits vor Erstellung auf die Bedürfnisse des pflegebedürftigen Angehörigen und naher Angehörigen eingehen, um im Erbfall den Familienfrieden sicherzustellen.
Gleichzeitig muss das Behindertentestament formal richtig sein und darf keine rechtliche Angriffsfläche für den Sozialhilfeträger bieten. Daher kann die Unterstützung eines Anwalts sinnvoll sein,
Der Anwalt kann Sie u. a. folgendermaßen unterstützem:
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Auf Grundlage eines detaillierten Festpreisangebots können Sie anschließend entscheiden, ob Sie den Anwalt mit der Erstellung eines individuellen Behindertentestaments beauftragen möchten.
Ein advocado Partner-Anwalt erläutert Ihnen in einer kostenlosen Ersteinschätzung das mögliche Vorgehen.
Wenn Sie ein Behindertentestament schreiben, ist Folgendes zu beachten:
Das Behindertentestament ist sinnvoll, um zu verhindern, dass der Staat das vererbte Vermögen als Ausgleich für geleistete Pflege bzw. Sozialhilfe einfordert.
Seit 01.01.2023 ist das neue Bürgergeld-Gesetz in Kraft. Es enthält auch Neuerungen für Menschen mit Behinderung. Sie dürfen nun 10.000 Euro Vermögen behalten (sogenannter Schonbetrag). Derselbe Schonbetrag gilt für Lebenspartner bzw. Ehepartner behinderter Personen.
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