Wenn ein Erblasser jemandem etwas schenkt, kann der Pflichtteilsberechtigte den Betrag der Schenkung als Pflichtteilsergänzung einfordern, da ohne die Schenkung der Wert der Erbmasse höher gewesen wäre. Als rechtliche Grundlage für diesen Pflichtteilsergänzungsanspruch dient § 2325 BGB. Die Zuwendungen des Erblassers werden – je nach Zeitpunkt der Schenkung – aber nur anteilig eingerechnet. Ob Sie einen Pflichtteilsergänzungsanspruch haben und wie hoch er ausfällt, erfahren Sie hier.
Nur Pflichtteilsberechtigte können einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend machen. Voraussetzung ist, dass der Erblasser seinen Nachlass zu Lebzeiten durch Schenkungen schmälert und den Pflichtteil seiner Erben dadurch verringert. Für einen Pflichtteilsergänzungsanspruch des Erben muss er zunächst einen Anspruch auf den Pflichtteil haben – so sind beispielsweise Eltern des Erblassers nur berechtigt, wenn der Verstorbene keine Kinder hat.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch steht – im Gegensatz zum Pflichtteilsanspruch – nach § 2326 BGB neben demjenigen, der durch ein Testament oder Erbvertrag enterbt bzw. zu wenig bedacht wurde, auch einem Mit- oder Alleinerben zu. Dabei wird der Wert des Erbteils auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch angerechnet.
Die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist abhängig vom Wert der Schenkungen. Dabei spielen aber nur diejenigen der letzten zehn Jahre eine Rolle (Zehn-Jahres-Frist). Geschenke, die mehr als zehn Jahre zurückliegen, sind nicht mehr vom Ergänzungsanspruch abgedeckt. Zudem werden Anstandsschenkungen wie Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenke nicht hinzugezählt – sie begründen somit keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch des Erben (§ 2330 BGB). Alle anderen Schenkungen berechnet man nach dem Abschmelzungsmodell – das heißt, je länger die Schenkung her ist, desto geringer ist der einzurechnende Anteil.
Bei der Ermittlung des Werts der Schenkung wird zwischen verbrauchbaren und nicht verbrauchbaren Sachwerten unterschieden.
Zeitpunkt der Schenkung |
Anteil |
Innerhalb des 1. Jahres vor dem Todesfall |
10/10 = voller Betrag |
Bis zu 2 Jahre vor dem Todesfall |
9/10 = 90 % |
Bis zu 3 Jahre vor dem Todesfall |
8/10 = 80 % |
Bis zu 4 Jahre vor dem Todesfall |
7/10 = 70 % |
Bis zu 5 Jahre vor dem Todesfall |
6/10 = 60 % |
Bis zu 6 Jahre vor dem Todesfall |
5/10 = Hälfte des Schenkungsbetrags |
Bis zu 7 Jahre vor dem Todesfall |
4/10 = 40 % |
Bis zu 8 Jahre vor dem Todesfall |
3/10 = 30 % |
Bis zu 9 Jahre vor dem Todesfall |
2/10 = 20 % |
Bis zu 10 Jahre vor dem Todesfall |
1/10 = 10 % |
Ab 10 Jahre vor dem Todesfall |
Keine Anrechnung |
Berechnungsbeispiel
Betrag der Schenkung |
Zeitpunkt der Schenkung |
Anteil, der in den Ergänzungsanspruch eingerechnet wird |
10.000 Euro |
8 Monate vor dem Tod des Erblassers |
10.000 Euro |
10.000 Euro |
3,5 Jahre vor dem Tod des Erblassers |
7.000 Euro |
10.000 Euro |
9 Jahre vor dem Tod des Erblassers |
2.000 Euro |
Der Erblasser hatte zwei Kinder und keine anderen Pflichtteilsberechtigten. Kind 1 hat der Verstorbene als Alleinerbe eingesetzt. Kind 2 erhält somit nur seinen Pflichtteil (Pflichtteil = ½ des gesetzlichen Anspruchs, bei 2 Kindern also ¼). Das Erbe beträgt zum Todesfall 50.000 Euro. Zwei Jahre vor dem Tod verschenkte der Erblasser aber eine Immobilie im Wert von 120.000 Euro.
Nachlasswert ohne Schenkung |
Gesetzlicher Pflichtteilsanspruch (1/4) von Kind 2 |
Wert der Schenkung |
Zeitpunkt der Schenkung |
Höhe des Ergänzungsanspruchs |
Neuer Nachlasswert |
Neuer Pflichtteilsanspruch (1/4) |
50.000 Euro |
12.500 Euro |
120.000 Euro |
2 Jahre vor dem Tod des Erblassers |
90 % = 108.000 Euro |
158.000 Euro |
39.500 Euro |
50.000 Euro |
12.500 Euro |
120.000 Euro |
8,5 Jahre vor dem Tod des Erblassers |
20 % = 24.000 Euro |
74.000 Euro |
18.500 Euro |
Die oben genannte Zehn-Jahres-Frist beginnt mit dem Zeitpunkt der Schenkung. Dies ist erst der Fall, wenn der Erblasser gänzlich auf den Gebrauch der verschenkten Sache verzichtet und sich kein wesentliches Nutzungsrecht wie beispielsweise Nießbrauch vorbehält. So startet die Frist bei einer Immobilienüberlassung nicht bereits bei Änderung des Grundbuches, sondern erst bei Auszug des späteren Erblassers. Ein Sonderfall ist die Schenkung unter Ehegatten. Hier beginnt die Zehn-Jahres-Frist erst zum Zeitpunkt der Scheidung oder des Todes des Ehepartners. Somit können auch jahrzehntealte Geschenke Teil des Pflichtteilsergänzungsanspruchs werden.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen die Erben verjährt innerhalb von drei Jahren nach Kenntnisnahme über die Schenkung (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Die Frist beginnt dabei aber erst mit Ablauf des Jahres, in dem dieser Anspruch entstanden ist. Erfahren Sie zum Beispiel am 15. Februar 2017 vom Tod des Erblassers und seinen Schenkungen, startet die Drei-Jahres-Frist dennoch erst am 31.12.2017. Der Anspruch ist folglich zum 31.12.2020 verjährt. Erfährt der Pflichtteilsberechtigte hingegen erst nach mehreren Jahren von Schenkungen des Erblassers, beginnt auch erst dann die Frist. Daher beträgt die maximale Verjährungsfrist 30 Jahre. Nach Ablauf dieser Zeit können keinerlei erbrechtliche Ansprüche mehr geltend gemacht werden (§ 199 Abs, 3a BGB).
Somit kann es passieren, dass Ihr Anspruch auf den Pflichtteil bereits verjährt ist (ebenfalls innerhalb drei Jahre nach Kenntnis des Todesfalls), Ihr Pflichtteilsergänzungsanspruch aber noch nicht, weil Sie von der Schenkung weniger als drei Jahre Kenntnis hatten.
Kenntnis des Todesfalls |
Kenntnis von der Schenkung |
Beginn der Verjährungsfrist |
Ablauf der Verjährungsfrist |
01.05.2010 |
01.05.2010 |
31.12.2010* |
31.12.2013 23:59 Uhr |
01.05.2010 |
01.08.2012 |
31.12.2012* |
31.12.2015 23:59 Uhr |
01.05.2010 |
01.11.2025 |
31.12.2025* |
31.12.2028 23:59 Uhr |
* Es sei denn, der 31.12. fällt auf einen Sams-, Sonn- oder Feiertag. Dann beginnt die Frist am ersten Werktag im Januar.
Lehnen die Erben den Anspruch des Pflichtteilsergänzungsberechtigten mit Recht ab, ist der Beschenkte in der Pflicht (s. u.). In diesem Fall beginnt die Verjährungsfrist allerdings gemäß § 2332 BGB bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls und nicht erst mit Kenntnis der Schenkung. Die Frist beträgt wie üblich drei Jahre.
Grundsätzlich müssen die übrigen Erben für die Erstattung der Pflichtteilsergänzung aufkommen. Dies kann aber ausgeschlossen sein – beispielsweise wenn die Zahlung den Pflichtteil der Erben inklusive ihrer Ergänzungsansprüche belasten würde (§ 2328 BGB). In diesem Falle wird der Beschenkte gemäß § 2329 BGB in die Pflicht genommen. So heißt es im Absatz 1 des § 2329: „Soweit der Erbe zur Ergänzung des Pflichtteils nicht verpflichtet ist, kann der Pflichtteilsberechtigte von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks zum Zwecke der Befriedigung wegen des fehlenden Betrags nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern. Ist der Pflichtteilsberechtigte der alleinige Erbe, so steht ihm das gleiche Recht zu.“ Anstatt das Geschenk herauszugeben, kann der Beschenkte den Betrag in Geld übergeben.
Mithilfe des Nießbrauchrechts können zukünftige Erblasser ihr Eigentum verschenken, dieses aber dennoch weiterhin benutzen. Ein solcher Vorgang zählt in der Regel als Schenkung im Sinne von § 2325 BGB, zieht somit einen Pflichtteilsergänzungsanspruch mit sich und wird nach dem oben gezeigten Abschöpfungsmodell in den Pflichtteilsanspruch eingerechnet.
Die Besonderheit beim Nießbrauchrecht: Die Zehn-Jahres-Frist der Abschöpfung beginnt erst, wenn „der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand im Wesentlichen weiterhin zu nutzen“, entschied der BGH (Urteil vom 29.06.2016 – IV ZR 474/15). Dies ist meist erst dann der Fall, wenn der Nießbrauch wegfällt – also zum Todeszeitpunkt des Erblassers. Bis zu diesem Zeitpunkt zählt das Nießrecht zum Vermögensstand des Nießbrauchers und der Fristbeginn ist gehemmt, weil der Erblasser den verschenkten Gegenstand nicht tatsächlich entbehrt hat.
Allerdings wurde im oben genannten BGH-Fall festgelegt, dass ein Nießbrauchrecht für einzelne Räume in einem Wohnhaus keine wesentliche Weiternutzung darstellt und somit der Fristbeginn bereits zum Schenkungszeitpunkt und nicht erst mit dem Tod des Nießbrauchers beginnt. Damit war der Anspruch des klagenden Sohnes verjährt (denn die Schenkung war 20 Jahre her).
Unterschieden wird zwischen 2 Begebenheiten:
✓ Sie sind Pflichtteilsberechtigter mit Anspruch.
✓ Es gab Schenkungen zu Lebzeiten des Erblassers, ohne die Ihr Pflichtteilsanspruch höher wäre.
✓ Die Schenkung erfolgte vor weniger als 10 Jahren vor dem Tod des Erblassers.
✓ Der Anspruch ist noch nicht verjährt (Drei-Jahres-Frist).
Fühlen Sie sich mit der Höhe Ihres Pflichtteils ungerecht behandelt? Hat der Verstorbene sein Vermögen zu Lebzeiten verschenkt, um im Erbfall seinen Nachlass zu schmälern? Dann haben Sie womöglich einen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Ist die Schenkung noch nicht lange her, wird der volle Betrag in die Erbmasse eingerechnet. Sie können Ihren Anspruch mithilfe eines Anwalts innerhalb von drei Jahren nach dem Erbfall bzw. nach Kenntnis der Schenkung geltend machen.
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